
Pressemitteilung
Berlin, 22.01.2020
Ackercrowd: Selbstorganisiertes Klimapaket
Grüne Woche, Bauernproteste, Wir-haben-es-satt-Demo: Landwirtschaft ist das Thema dieser Tage und reiht sich ein in Debatten rund um den Klimawandel und Erhalt der Artenvielfalt. Während viele Bauern und Bäuerinnen protestieren, legt eine Forsa-Studie offen, dass 87% der Landwirte bereit sind, künftig mehr für den Naturschutz zu tun.[i] Ein Großteil der Betriebe fühlt sich allerdings nicht vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) vertreten.[ii] Angesichts des schnell voranschreitenden Klimawandels und dramatischen Artensterbens ist ein ambitionierter Umbau der Landwirtschaft notwendig. Weder die Pläne des BMEL, noch die aktuelle Debatte rund um die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU geben Hoffnung, dass eine richtungsweisende Kursänderung auf politischer Ebene erfolgt. Um diesen Missständen entgegenzutreten, hat sich die Ackercrowd gebildet: eine Beteiligungsplattform zur konkreten Förderung von Maßnahmen für eine aufbauende Landwirtschaft. Ackercrowd bietet bäuerlichen Betrieben die Möglichkeit, produktionsintegriert Naturschutz zu betreiben und fängt an, den Acker zu bepflanzen. Ziel ist es, eine aufbauende Landwirtschaft mitzugestalten. Ackercrowd stellt sich am 22. Januar 2020 auf dem Fachtag des Netzwerk Solidarische Landwirtschaft vor.
Landwirte: Klimasünder, Klimaopfer, Klimaretter?
In Europa ist der Agrarsektor drittgrößter Verursacher von Treibhausgasemissionen und verantwortet etwa 10 Prozent der Gesamtemissionen.[i] Zugleich haben auch Landwirte die Folgen des Klimawandels zu tragen, wie sich anhand der Dürreperioden und Überschwemmungen der letzten Jahre zeigen. Die Zuschreibung von Landwirt:innen als Klimasünder und zugleich Klimaopfer ist im aktuellen Diskurs Standard.
Aus Perspektive der Ackercrowd, sind Landwirt:innen jedoch Klimaretter:innen. Sie können Landschaften umbauen: mit Böden die Kohlenstoff speichern und das Wasserhaltevermögen erhöhen. Sie können Landschaften umgestalten: durch kleinflächigere Strukturen mit Mischkulturen und Baumfeldwirtschaft. Sie können widerstandsfähige und artenreiche Öko-Agrar-Systeme schaffen. Aber wie soll das angesichts der aktuellen ökonomischen wie politischen Rahmenbedingungen gehen?
Solidarische Landwirtschaft trifft Aufbauende Landwirtschaft
Die „Solidarische Landwirtschaft“ etabliert sich seit ihrer Gründung mit steigender Beteiligung als nicht-industrielle, marktunabhängige Landwirtschaft. Hier werden nicht einzelne Lebensmittel, sondern landwirtschaftliche Betriebe als Ganzes finanziert. Während auf Marktebene der Dialog zwischen Praktizierenden und Konsumierenden fehlt, wächst hier Verständnis, werden Perspektiven verhandelt, wird ermöglicht.
Als notwendige Ergänzung wurde vor Kurzem die „Ackercrowd“ initiiert, die sich auf dem Netzwerktag der Solidarischen Landwirtschaft am 22.01.2020 vorstellt. Ackercrowd ist eine Beteiligungsplattform. Hier können sowohl Menschen als auch Organisationen mit Hilfe von Crowdfunding, Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Betrieben fördern, die biodiversitätssteigernd und aufbauend auf Flora, Fauna und den Sozialraum wirken. Die Maßnahmen entwickeln die Betriebe gemeinsam mit einem Beratungsteam. Als Finanzierungsinstrument setzt Ackercrowd da an, wo politische und ökonomische Rahmenbedingungen scheitern: in der Förderung klimafreundlicher Landwirtschaft. Als Beteiligungsinstrument wird Landwirt:innen wie auch anderen Menschen aus der Zivilgesellschaft die Möglichkeit gegeben, aktiv die Landschaft und das Klima mitzugestalten. „Wir sind eine lösungsorientierte Crowd, die von und für Praktiker:innen geschaffen wurde. Es ist uns sehr wichtig, dass wir selbstorganisiert direkt ins konkrete Handeln kommen.“, so Frank Nadler, der als Mit-Initiator der Ackercrowd auf dem Podium sitzt.
Ackercrowd befindet sich mitten in der Startphase: Aktuell werden mit zwei Betrieben aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt konkrete Projekte geplant und mittels Crowdfunding finanziert. Im Herbst 2019 wurde die erste Anpflanzung durchgeführt. Es entstehen Systeme in unterschiedlichen Komplexitätsstufen, um die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen. Von essbaren Schutzhecken, über artenreiche Waldgärten bis zu großflächigen Agroforstsystemen mit ganzheitlichem Weidemanagement. Gehölze spielen dabei ein zentrale Rolle und werden als „essbare“ Dauerkulturen nutzbar in die Systeme integriert. Darüber hinaus werden die verschiedenen Maßnahmen wissenschaftlich begleitet und fließen in ein Modell zur dauerhaften Finanzierung dieser Ökosystemleistungen ein. Weitere Projekte für 2020 sind in Planung, so auch eine eigene Baumschule.
2009 lautete die Botschaft des Weltagrarberichts: „Weiter wie bisher ist keine Option.“ Diese Aussage ist aktueller denn je. Packen wir’s an – mit mehr Autonomie, Respekt und Beteiligung.
Hintergrund
Aufbauende Landwirtschaft
„Aufbauende Landwirtschaft“ ist die Kunst, Nahrungsmittel zu produzieren und dabei gleichzeitig die natürlichen Ressourcen (Boden, Wasser, Pflanzen, Luft, Arten) zu erhalten und wieder aufzubauen. Aufbauende Landwirtschaft ermöglicht die Kombination von Nutz- und Kulturpflanzen, Tieren, Pilzen, Gehözen und mehr. Mit diesem agrarökologischen Konzept werden Treibhausgase gebunden, Böden belebt, Wasser gehalten und Lebensräume geschaffen.
Gemeinsame Agrarpolitik
Kaum ein anderer Sektor hat es mit so vielen Regelungen zu tun. Die Landwirtschaft ist der zweitgrößte Haushaltsposten im EU-Etat. Die Verteilung der Gelder regelt die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) – und zwar bis zum heutigen Tag nach dem Gießkannenprinzip. Das Prinzip ist so einfach wie fehlgeleitet: Je größer der Betrieb, umso größer die Prämie. So gehen rund 95% des gesamten Etats in Säule 1, das ist eine pauschale Flächenprämie i.H.v. 280 EUR / Hektar. Die restlichen 5% des Etats fließen in Säule 2: die ländliche Entwicklung. Forderungen nach einer Umverteilung der Gelder sind fast so alt, wie das Instrument selbst, und werden in den jetzigen Verhandlungen zur neuen Förderphase ab 2021 überhört. Auch der „Klima-Notruf“ etlicher Verbände und Erzeugergemeinschaften Richtung Bundeslandwirtschaftsministerium scheint im 10-Punkte-Plan des BMEL weitestgehend ignoriert zu werden.
[1] https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/agrarpolitik/26215.html
[1] Ebd.
[1] Agraratlas: https://www.boell.de/de/2019/01/04/klima-taeter-und-opfer-zugleich?dimension1=ds_agraratlas
